Offener Brief: Coronaverharmloser*innen darf keine Bühne auf der Uni geboten werden!

Gemeinsam mit der ÖH Uni Wien, den jüdischen österreichischen Hochschüler*innen, der Studienvertretung IG POWI und der Fakultätsvertretung für Sozialwissenschaften der Uni Wien haben wir einen offenen Brief geschrieben, der sich gegen die COVID-19-verharmlosende Ringvorlesung richtet, die an der Uni Wien, der TU und der BOKU angeboten wird.

Offener Brief

an die Rektorate der Universität Wien, der BOKU und der TU Wien

 

Coronaverharmloser_innen keine Bühne bieten!

Die Universität Wien bietet derzeit gemeinsam mit der BOKU und der TU Wien eine fächer- und universitätsübergreifende Ringvorlesung zum Thema Covid 19 an. Eine Pandemie stellt die Gesellschaft vor viele Herausforderungen, die aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven diskutiert werden könnten - die existierende Vorlesung wird allerdings teilweise von Menschen gehalten, die in der Vergangenheit bereits mit antisemitischen Äußerungen, Verharmlosungen der Krankheit und/oder Verschwörungstheorien aufgefallen sind. Um dies zu untermauern, haben wir ein Dokument mit Recherchen an diesen offenen Brief angehängt.

Bereits die erste Vorlesung war voll von sozialdarwinistischen Ansichten, von Verharmlosungen der Krankheit und haarsträubenden Behauptungen. So wurde beispielsweise immer wieder betont, dass überwiegend alte Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen von Corona betroffen seien - fast so als wäre deren Tod weniger schlimm. Abgesehen davon, dass auch jüngere Menschen stark betroffen sind, haben alte Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen ebenso ein Recht zu leben wie alle anderen.

Die Freiheit der Lehre und Wissenschaft ist für uns indiskutabel. Die Freiheit der Wissenschaft darf aber kein Argument für menschenverachtende Weltanschauungen sein. Wer verschwörungstheoretischen Diskursen einen akademischen Deckmantel zugesteht, hilft dabei, sie salonfähig zu machen. Die bisherigen Verbreitungswege von Verschwörungstheorien, Coronaverharmlosungen und rechtem Gedankengut über Telegram und Facebook werden um einen hochoffiziellen Weg erweitert.

Antisemitismus, Ableismus oder andere Diskriminierungsformen dürfen ebenso wenig eine Plattform bekommen, wie rechte und rechtsextreme Diskurse. Diskriminierung und Verschwörungstheorien sind keine Meinung! Gerade für Studierende, die sich noch nicht intensiv mit Corona und coronaverharmlosenden Positionen auseinandergesetzt haben, ist es außerdem teilweise schwer zu erkennen, wer dahintersteckt oder welchen Hintergrund die Behauptungen haben.

Genauso wenig zählt das Argument des Diskurses auf Augenhöhe. Ganz im Gegenteil müssen hier hierarchische Verhältnisse mitgedacht werden. Beispielsweise befinden sich Studierende in einem Abhängigkeitsverhältnis zu den Lehrenden, da sie auf eine positive Note und einen ECTS Nachweis angewiesen sind. Ebenso ist auf Wissenshierarchien zu verweisen: von Studierenden kann nicht dieselbe Diskursfähigkeit wie von jahrelangem, akademischen Lehrpersonal erwartet werden. Daher traut sich nicht jede Person, im öffentlichen Setting einer Ringvorlesung zu widersprechen.

Die angebotene Ringvorlesung bietet eine Plattform für menschenverachtende Haltungen und muss daher abgesetzt werden! Es darf keine ECTS für Coronaverharmlosung geben!

 

Anhang: Recherche zu Vortragenden

Andreas Sönnichsen

Die MedUni hat sich via Social Media von Sönnichsen, der in der ersten Vorlesung bereits einen Vortrag hielt, distanziert.

In ihrem Statement heißt es "Andreas Sönnichsen vom Zentrum für Public Health vertritt zum Thema „Corona-Infektion“ persönliche Ansichten und tätigt Aussagen, von denen sich die Medizinische Universität Wien bereits mehrfach ausdrücklich distanziert hat und sich auch weiterhin distanziert. Dies bezieht sich auch auf Aktivitäten Sönnichsens im Rahmen von Vereinen oder Plattformen wie z.B. „ACU“. Andreas Sönnichsen ist weder Experte auf dem Gebiet der Biologie, Diagnose oder Therapie von Viruserkrankungen noch Leiter einer Organisationseinheit oder „Vorstand“ an der Universität. Wir möchten festhalten, dass es im Wissenschaftsbetrieb grundsätzlich der akademischen Freiheit entspricht, dass einzelne WissenschafterInnen persönliche Meinungen artikulieren. Im Zusammenhang mit den Angaben und Äußerungen von Andreas Sönnichsen werden dienstrechtliche Schritte geprüft".1

Diesen Aussagen - wie etwa der Verharmlosung der Auswirkungen des Virus oder Behauptungen, dass Covid etwa "nur" für ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen gefährlich sei (was gefährlich ist, da es diese Menschen genauso oder sogar noch mehr zu schützen gilt), wird mit dem Abhalten dieser Vorlesung noch mehr Raum geschaffen. Laut dem Standard forderte er zudem im Oktober 2020, „als sich die zweite Covid-19-Welle aufbaute, [...] zusammen mit mehreren anderen Medizinern ein Ende aller Seuchen-Eindämmungsmaßnahmen“.2

Christian Schubert

Sönnichsen ist zusammen mit Christian Schubert, der im Rahmen der Ringvorlesung ebenfalls einen Vortrag hält, Teil der "ICI - Initiative für evidenzbasierte Corona Information", die insbesondere Stimmung gegen die Impfung gegen COVID-19 machen und auf deren angebliche Gefährlichkeit hinweisen.3 Als Hintergrund zu dieser Initiative: Auch DDr. Christian Fiala ist Teil der ICI, Mitglied der Coronaleugner_innenpartei MFG.

Martin Sprenger

Martin Sprenger wiederholt sich in einem Interview mit profil.at in der Behauptung, es wären ja "nur" alte Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen, die von Corona schlimm betroffen wären. Zudem bezeichnete er unter anderem die 3-G-Regel als "politische[n] Aktionismus" und behauptete inBezug auf Corona:"Wir haben mehr gesunde Lebensjahre verloren als gerettet".4

Andrea Komlosy

Stellte in der Vergangenheit öffentlich folgende Behauptung auf: "Volk ohne Raum, es sind jetzt nicht mehr Deutsche, die Lebensraum im Osten suchen, sondern Juden auf der Suche nach Raum ohne Volk. Mit dem allseits bekannten Schönheitsfehler, ein Volk war da, und so gesehen sind die Palästinenser späte Betroffene des Holocaust".5

Solche Behauptungen, die die israelische Staatengründung diskursiv auf eine Stufe mit der nationalsozialistischen Landnahme im Osten stellen wollen, die mit einer "germanischen Überlegenheit" begründet werden sollte und damit die theoretische Grundlage für den sogenannten "Generalplan Ost" der SS, also der Vertreibung und Vernichtung der "rassisch unerwünschten" Bevölkerung, legte, ist kaum versteckter Antisemitismus.

Martina Kaller-Dietrich

Veröffentlichte bisher 3 Bücher im ProMedia Verlag.6 Der Inhalt der Bücher steht nicht zur Diskussion, vielmehr geht es um die Person, die hinter dem Verlag steht. Inhaber des ProMedia Verlags ist Hannes Hofbauer7 , der in der Vergangenheit unter anderem bei KenFM8 (einem Blogformat das antisemitischen & verschwörungstheoretischen Theorien Raum gibt) oder Russia Today, dem Auslandsfernsehen des autoritär geführten russischen Staates, auftrat. Außerdem publizierte er sowohl im vom deutschen Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuften Compact Magazin9 als auch im verschwörungstheoretischen Blog Rubikon.

Michael Meyen

Ist durch eine Vielzahl an coronaleugnenden Aussagen, durch seine an Verschwörungstheorien grenzenden Aussagen zu und der Ablehnung von Faktencheckern, durch antisemitische Äußerungen und vieles andere bereits wiederholt negativ aufgefallen.10

 

1 https://www.facebook.com/MedizinischeUniversitaetWien/posts/3615202158556220/

2 https://www.derstandard.at/story/2000130170845/corona-kritische-ringvorlesung-an-uni-wien-sorgt-fuer-kritik

3 https://www.initiative-corona.info/

4 https://www.profil.at/oesterreich/corona-streitgespraech-soll-man-kinder-impfen/401397936

5 http://www.gegendenantisemitismus.at/12022009.php

6 Martina Kaller-Dietrichs Webauftritt auf der Website des ProMedia Verlags von Hannes Hofbauer: https://mediashop.at/autorin/286-martina-kaller-dietrich/

7 https://de.wikipedia.org/wiki/Hannes_Hofbauer

8 https://de.wikipedia.org/wiki/Ken_Jebsen#Webportal_KenFM_(ab_2012)

9 https://de.wikipedia.org/wiki/Compact_(Magazin)

10 https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Meyen https://www.br.de/kultur/allesaufdentisch-michael-meyer-volker-bruch-faktenchecker-100.html Urteil - Zulässige Äußerungen - München - SZ.de (sueddeutsche.de)